Ausgedehnte Lesungen sind bekanntlich etwas
anstrengend. Auszüge aus Romanen sind erstens vom Autor schwer
auszuwählen, und zweitens vom Zuhörer schwer zu verstehen, weil aus dem
Zusammenhang gerissen, so daß ein zusätzlicher Erklärungsbedarf
besteht. Gespräche mit dem Autor sind meist interessanter. Nun kennt
man mich aber in Leipzig schon ganz gut und ich fürchte, daß nicht
einmal Manfred noch ausreichend Fragen einfallen, um ein interessantes
Gespräch über 2 Stunden anzuzetteln. Also bleibt mir nur das Vorlesen
längerer Texte oder etwas anderes. Ich habe mich für etwas anderes
entschieden. Ich möchte eine Art Vortrag mit eingeschobenen Leseteilen
halten. Natürlich einen Vortrag über meine schriftstellerische
Tätigkeit. (Da ich ihn schon aufgeschrieben habe, ist es trotzdem eine
Art Lesung.)
Vor 20 Jahren erschien meine erste Story in einer Anthologie. (Das war die
Story "Seert" in "Denn wir sind von dieser Welt. Anthologie
schreibender Kinder und Jugendlicher der Stadt Halle".) Mit dem
Schreiben fing ich allerdings schon etwa 10 Jahre eher an. Zunächst
waren es kürzere Geschichten, dann längere, die sich schließlich zu
Büchern auswuchsen ... Bis mein erster Roman veröffentlicht wurde,
mußte ich aber noch 6 Jahre warten.
Es ist nun so, daß ich inzwischen eine Reihe von weiteren Büchern
geschrieben habe, die zwar keinen richtigen Zyklus darstellen, aber
doch auf gewisse Weise miteinander verknüpft sind, was vermutlich den
wenigsten Lesern aufgefallen ist. Daher möchte ich heute vor allem die
Zusammenhänge zwischen meinen bisher geschriebenen und teilweise auch
schon veröffentlichten Büchern erläutern. Gerade mit dem in diesem Jahr
fertig gewordenen Buch habe ich einen großen Bogen geschlossen, der nun
eine Reihe meiner Texte inhaltlich miteinander verbindet. Zwar ist es
immer ein schlechtes Zeichen, wenn ein Autor seine Bücher dem Leser
extra erklären muß, aber ich denke, daß man auf diese Hintergründe, die
ein Leser nicht unbedingt zu kennen braucht, um das Buch zu verstehen,
ruhig einmal eingehen kann. Das wird also einen Teil des Vortrages
ausmachen.
Außerdem finde ich die Frage, woher ein Autor seine Ideen und
Inspirationen bezieht, gar nicht so uninteressant. Es ist kein Wunder,
daß sie so oft gestellt wird, daß es manchmal schon peinlich ist und
gewisse Leute schlicht behaupten, sie bekämen ihre Ideen per Post aus
Schenectady. Man hat sogar schon einen ganzen Con (den Ratzecon 1997)
um diese Frage abgehalten, und ich hatte das manchmal recht
zweifelhafte Vergnügen, dort als Gast eingeladen zu sein. Weil das
anscheinend doch viele interessiert, will ich also versuchen, im Rahmen
der Enthüllung der Hintergründe und Zusammenhänge auch ein paar
Gedanken zu den Quellen einzuflechten, falls sie mir noch einfallen.
Fangen wir mit meinem ersten veröffentlichten Buch an:
1990 erschien im Oberlausitzer Verlag der erste und zweite Teil von
»(Die) Zauberer des Alls« in einem Band – mein erster Roman mit einer
Auflage von 10000 Exemplaren (die aber nie alle verkauft wurden).
Geschrieben wurde das Buch jedoch schon einige Jahre früher, der erste
Teil war bereits 1987 unter dem ursprünglichen Titel »Das
Robinson-Experiment« im Fanzine count down magazin der Familie
Kreutziger in Fortsetzungen erschienen. Der 3. Teil, »Operation
Asfaras«, war ebenfalls schon Anfang 1988 fertiggestellt, doch er wurde
aus geschäftlichen Gründen nicht mehr wie geplant vom Verlag
veröffentlicht. »Zauberer des Alls« hatte durchaus noch seine
Schwächen, die Fortsetzung fand ich selbst jedenfalls schon besser
gelungen. Aber mir geht es hier nicht um die Qualität des Buches,
sondern um bisher geheime Hintergründe und Zusammenhänge.
Für alle, die das Buch nicht kennen, gebe ich schnell einen Überblick des Inhaltes:
Auf einem Planeten, der irgendwann vor längerer Zeit von Menschen
besucht wurde, kommt in einer unterirdischen Anlage ein Mann zu sich,
der – wie sich später herausstellt – ein Roboter mit Bewußtsein ist. Auf
der Welt Onsitrok leben Humanoide, die früher etwas konnten, was hier
als Zauberei bezeichnet wird. Doch eine dritte Rasse, mit der die
Menschen anscheinend ebenfalls in Konflikt gerieten, hat die
Onsitrok-Bewohner unterworfen und ihnen ihre magischen Fähigkeiten
geraubt. Der Roboter Robinson wurde auf zunächst unbekannte Weise so
manipuliert, daß er ebenfalls die mysteriösen magischen Fähigkeiten
hat. Zusammen mit einigen Bewohnern des Planeten muß er das Geheimnis
um die Invasoren und den Verbleib der Menschen aufklären. In der
zweiten Hälfte des Buches kommt er dann zur Erde, die inzwischen
ebenfalls von den sogenannten Vanroukh angegriffen wurde, um seinen
ehemaligen Schöpfern beizustehen. In der Fortsetzung wird ausführlich
die Heimatwelt der Vanroukh mit ihren verschiedenen Bewohnergruppen
vorgestellt, wo Robinson und seine Leute rechtzeitig eintreffen, um bei
einer sich entwickelnden Revolte gegen die finsteren Machthaber
mitzumischen.
Zur Entstehung von »Zauberer des Alls« ist mir nicht mehr viel in
Erinnerung. Ich notierte eine Idee dazu während einer besonders
langweiligen Vorlesung an der Uni in Jena auf einem Hefter. Nur wenig
von dem, was ich vorher während meiner Schul- und Armeezeit geschrieben
habe, ist erhalten geblieben. Das meiste davon waren Kurzgeschichten.
Was nicht ganz unbrauchbar war, habe ich 2004 in dem Sammelband »Der
Ypsilon-Faktor«
veröffentlicht, der einen kurz kommentierten
Querschnitt durch meine ganze Entwicklung als Schreibender bietet. Mit
»Zauberer des Alls« begann ich meinen ersten ernsthaften Versuch, einen
Roman zu schreiben. Die
ersten beiden Teile waren noch während des
Studiums fertig, und auch der viel längere 3. Teil, »Operation
Asfaras«, wurde im letzten Studienjahr geschrieben, im Praktikum in Bad
Klosterlausnitz. Übrigens kamen bestimmte Landschafts- und
Naturbeschreibungen in dem Buch sozusagen live aus dieser Gegend. Mit
der damals an der Uni für mich zugänglichen DDR-Computertechnik
berechnete ich z.B. die planetologischen Daten der Welt Asfaras –
geschrieben habe ich das erste Manuskript noch auf der Schreibmaschine.
In diesem Roman, der 1991 von SOLAR-X erstmals veröffentlicht wurde und
2003 endlich auch als Buch erschien, brachte ich zum ersten Mal etwas
unter, das auch für spätere Projekte eine Bedeutung haben sollte. Ich
baute ganz bewußt eine Szene ein, die mit der Handlung des Buches
scheinbar gar nichts zu tun hatte, eine Szene, die ich schon 1988 als
Aufhänger für eine Verbindung meiner vermutlich noch kommenden Bücher
zu verwenden gedachte, obwohl für diese zu jenem Zeitpunkt noch nicht
einmal Ideen existierten!
Dazu als Begründung kurz ein etwas weiteres und abschweifendes
Ausholen: In der DDR-SF gab es keine richtigen Zyklen und nur wenige
miteinander zusammenhängende Romane bzw. gar Fortsetzungen, wie die
meisten hier gut wissen. (Es gibt natürlich auch Gegenbeispiele.) Ich
war damals aber von der Idee des Zyklus’ oder auch der Konstruktion in
sich geschlossener literarischer Welten fasziniert (wie sehr einem
Zyklen heute auch manchmal auf den Nerv gehen mögen). Vermutlich 1988
konnte ich die ersten Bände des »Drachenlanze«-Zyklus von Weis und
Hickman erwerben, allerdings erst nach dem Abschluß der Arbeit an
»Operation Asfaras«. Letzteres leite ich aus der Tatsache ab, daß meine
ersten Bücher der riesigen Drachenlanze-Serie Auflagen von 1988 sind
und ich sie frühestens nach der Buchmesse im März gekauft haben kann,
der Roman aber im Februar ‘88 datiert ist. Wahrscheinlich hat mich eher
Asimovs »Foundation« als zusammenhängende Welt in dieser Richtung
beeinflußt, wovon ich einige Bände schon früher aus der UdSSR
importierte. Dort war man bekanntlich viel liberaler im Verkauf
westlicher SF in englischer Sprache.
Ich hatte schon in jenen Tagen in Bad Klosterlausnitz, als ich beim
Schulpraktikum mangels anderer Freizeitbeschäftigung »Operation
Asfaras« schrieb, gewisse Ideen für eine breiter angelegte Saga, und
als gerade fertig gewordener Astronomie & Physik-Lehrer auch das
nötige naturwissenschaftliche Interesse, um die Idee des
Möglichkeitsuniversums zu entwerfen, einer Weltenvielfalt der
Paralleluniversen, die sich nur durch die eingeschlagenen
Entwicklungswege, also die Möglichkeiten unterscheiden. Freilich ist
diese Vorstellung heute ein alter Hut. Alternative oder parallele
Universen gibt es in der SF ja haufenweise. Später
werde ich noch etwas mehr zu meiner eigenen Variante sagen.
Nebenbei: Ich hatte zuvor nur wenig Gelegenheit, westliche SF zu lesen.
Dann war ich nach der Wende ziemlich überrascht, einige meiner Ideen
bei Farmer u.a. Autoren wiederzufinden. Was nur beweist, daß Ideen in
der Luft liegen oder wir sie alle aus Schenectady beziehen.
Zurück zu »Operation Asfaras«. Auf Seite 140 der Buchfassung beginnt
die kurze Episode, die gar keinen Zusammenhang mit der eigentlichen
Handlung hat. Jana, ein Mädchen von der Erde, das es zusammen mit Robinson nach Asfaras
verschlagen hat, begegnet auf seinem einsamen Marsch durch den
Inselkontinent Kator einem Mann, der mitten in der Wildnis gerade in
aller Seelenruhe eine Landkarte studiert. Er bezeichnet sich selbst als
den Wanderer. Jana unterhält sich mit dem Mann und geht dann
weiter, erst danach fällt ihr auf, wie merkwürdig die ganze Begegnung
eigentlich war.
So merkwürdig wie die Begegnung mit einer Gestalt aus einem anderen
Buch bzw. Film, so als ob der Terminator sich plötzlich dem Predator
gegenüber sähe. Oder einem Alien. Unmöglich? Wer wagt schon, das zu
behaupten?
Aufmerksame Leser haben vielleicht geglaubt, ich hätte hier etwas
begonnen und dann fortzusetzen vergessen – doch das war keineswegs ein
Fehler! Übrigens hat es nie einer erwähnt, also glaube ich fast, daß es
gar keiner gemerkt hat. [Textstelle] Die Bezeichnung Wanderer
ist dabei ganz bewußt an die Strugazkis
angelehnt, durch deren Bücher sich z.T. auch Hinweise auf die
mysteriösen Wanderer ziehen, hier allerdings eine außerirdische
Super-Rasse, ohne daß sie meines Wissens je aufklären, was es mit denen
auf
sich hat. Mein Wanderer hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine richtige
Bedeutung, er war so etwas wie ein »Schläfer«, um einen Begriff aus dem
Spionagethriller zu borgen.
Nun zu einem anderen Buch. Von 1992 bis März 1994 schrieben Philipp D.
Laner und ich den Fantasy-Roman »Stronbart Har«. Im Januar 1994
erschien auch der Mosaikroman »Die Zeitläufer« zum ersten Mal. Diese
monatliche Angabe ist wichtig, da tatsächlich in der letzten Phase die
beiden Bücher von mir parallel geschrieben wurden. Wie ich das gemacht
habe, kann ich mir heute selber kaum noch vorstellen, aber es ging
anscheinend.
Wieder eine kurze Zusammenfassung des Inhaltes:
Ein zum Tode verurteilter Abenteurer namens Brad Vanquis wird auf
einer dieser typischen Fantasy-Welten von einer Gruppe um den Schwarzen
Magier Zach-aknum gerettet, weil der ihn als Führer durch den Fluchwald
braucht. Der sadistische Oberzauberer des Reiches, das Brad gerade
köpfen lassen wollte, ist davon so gerührt, daß er unverzüglich mit
einigen Soldaten zur Verfolgung aufbricht. Erst als beide Gruppen in
den Fluchwald eingedrungen sind, der eine Zone gefährlicher
raumzeitlicher Phänomene darstellt, zeigt sich der wahre Grund für
Zach-aknums Reise. Er stammt von einer parallelen Welt, die früher
durch gewisse Tore mit der Welt der Handlung verbunden war. Der
Diebstahl einer Art Reliquie hat diese Verbindung gestört und das droht
zum Weltuntergang zu führen, wovon allerdings kaum einer etwas ahnt.
Zach-aknum hat nun diese Statue wieder an sich gebracht und muß nur
noch das letzte Tor erreichen, um nach Hause zu kommen. Und das
befindet sich, man errät es sicher: im Fluchwald, dessen Phänomene auch
mit der Störung der Tore zu tun haben. Immer verfolgt vom rachsüchtigen
Lord-Magister und den unberechenbaren Widernissen des Fluchwaldes
ausgesetzt, müssen sich die Helden durch ihn kämpfen.
In »Stronbart Har« aktivierte ich meinen Schläfer und zog
die erste Verbindung.
Als der Hauptheld Brad Vanquis von seinen Gefährten getrennt durch den
Fluchwald irrt, begegnet nämlich auch er dem Wanderer! (S. 172) Absichtlich
habe ich bei dieser Szene fast wörtlich das selbe Treffen geschildert
wie in »Operation Asfaras«. Auch Brad geht weiter und ihm fällt erst
später auf, wie komisch es ist, mitten im Fluchwald so einen Mann zu
treffen. [Textstelle] In »Stronbart Har« erklärte ich diese Begegnung noch nicht, Leser mögen
sie für eine weitere Absonderlichkeit des Fluchwaldes gehalten haben,
in dem Raum und Zeit völlig verrückt spielten – übrigens nachweislich
von der »Zone« der Strugazkis in »Picknick am Wegesrand« beeinflußt.
Das war Bestandteil der ursprünglichen Idee, die Philipp D. Laner und
ich entwarfen und die sich in einem Satz zusammenfassen läßt: Eine
Gruppe von Leuten sollte von einer anderen Gruppe durch gerade so eine
Art Zone gejagt werden. Daraus ist inzwischen ein Werk von über 1000
Buchseiten geworden. Unheimlich, nicht wahr?
Wie kann nun eine Gestalt in scheinbar so verschiedenen Büchern
auftauchen? (Ein Autor, bei dem ich das Prinzip später wiederfand, war
übrigens Michael Moorcock. Da gibt es gleich mehrere Personen, die
entweder unter anderen Namen oder als Inkarnationen durch seine
unterschiedlichen Romane geistern. Sehr verwirrend.) Alles hängt mit dem Möglichkeitsuniversum zusammen.
Die schon erwähnte Vorstellung des Möglichkeitsuniversums wurde von mir
in dem parallel erschienenen Buch »Die Zeitläufer« ausführlicher
entwickelt und später auch in abgewandelter Weise in dem Roman »Mandragora«
verwendet. In »Die Zeitläufer« gibt es das sogenannte Ding ohne Namen,
eine buchstäblich körperlose Entität oder Wesenheit, die im Inneren
eines Berges schläft, bis sie von den Neutrinos einer – damals
tatsächlich beobachteten Supernovaexplosion – wieder geweckt wird. Das
genaue Wesen von Entitäten wird auch erst in »Mandragora« erklärt. Dieses
superdimensionale Ding ist dafür verantwortlich, daß in den Zeiten
seines Wachzustandes in einer Reihe von Menschen übernatürliche
Fähigkeiten hervorgerufen werden, die man auch als magisch beschreiben
könnte.
Im abschließenden Kapitel des Buches bewegt das Ding ohne Namen diese
Gruppe von Menschen dazu, die Erde der Gegenwart zu verlassen, da die
menschliche Zivilisation sonst einer zu großen Belastungsprobe
ausgesetzt würde. Die eigentlichen Zeitläufer sind dabei übrigens
Leute, die aus dem Mittelalter stammen – allerdings einer
alternativweltlichen Erde, wie sich herausstellt. Der Zeitläufer namens
Thomas erhält von dem Ding ohne Namen in diesem Zusammenhang ein Paket
mit Landkarten »von Welten, die es nicht gibt«. Diese Karten stellen
eine von mehreren Möglichkeiten dar, zu anderen Welten bzw. Universen
des Möglichkeitsuniversums zu wechseln. Thomas wird später der
Wanderer sein, dem der Leser schon in den früheren Büchern auf so
merkwürdig unzusammenhängende Weise begegnet ist!
Das Buch selbst ist recht ungewöhnlich, und nicht nur, weil es von zwei
Autoren (Renald Mienert und mir) z.T. unabhängig voneinander verfaßt
wurde. Auch Form und Inhalt halten sich nicht unbedingt an gängige
Leseerwartungen, es scheint sogar Fantasy, Science Fiction und eine
ganze Menge Horror zu vermischen. Der Grund dafür liegt vor allem in
der besonderen Art und Weise, wie das Buch entstanden ist.
»Die Zeitläufer« ist ein Mosaikroman, d.h. er wurde von mir aus den
ursprünglich als Stories konzipierten Teilen zusammengefügt und durch
eine Rahmenhandlung und speziell dafür geschriebene Teile verbunden.
Nicht ganz so einfach und geradlinig, wie das jetzt klingen mag, denn
es geht dabei schon mal in
mehreren Zeitebenen und Rückblenden über die Jahrtausende und Dimensionen hinweg. Außerdem wurden Stories von Renald
Mienert einbezogen, der unter dem Pseudonym Philipp D. Laner mit mir
zusammen auch an »Stronbart Har« schrieb. Teile des Buches erschienen
vorher als Stories in SOLAR-X und seinen Ablegern Snake Poison und Zorn.
Die Form ist nicht das, was man als Leser gewohnt ist, und deshalb
vielleicht nicht ganz einfach – aber wer hat gesagt, daß alles einfach
zu lesen sein muß?
Die Entstehung des Buches wurde seinerzeit im halleschen SF-Club mit
Interesse verfolgt und sogar diskutiert, daher finden sich darin auch
ein paar Insider-Anspielungen auf bekannte Leute oder Orte. Zum
Verständnis ist eine Kenntnis dieser nicht nötig; für ein paar Leser
ergibt sich daraus aber eine weitere Ebene des Erzählens, ein
Bonus-Level für Eingeweihte sozusagen.
Dieses Buch nimmt eine Schlüsselstellung in der großen Verbindung aller
Teile ein, weil es u.a. erklärt, woher der Wanderer kommt. Es fügt
außerdem dem Bild des Möglichkeitsuniversums eine weitere Facette hinzu
und erweitert die Verschmelzung von Science Fiction und Fantasy in dem
Gesamtwerk.
Letzteres wird oft für unmöglich gehalten, und doch haben es schon
viele gestandene Autoren wie Silverberg, McCaffrey, Weber u.a.
erfolgreich getan. Letzten Endes ist der Definition nach Fantasy, die
sich wenigstens pseudowissenschaftlich erklären läßt, dann doch wieder
SF, aber ich mache mir beim Schreiben über solche Abgrenzungen wenig
Gedanken, wenn die Zusammenhänge für mich logisch zu funktionieren
scheinen. Die von mir verwendete Idee des Möglichkeitsuniversums läßt
es meiner Meinung nach in ihrem Rahmen durchaus zu, z.B. einen Roboter
mit magischen Fähigkeiten zu haben wie in »Zauberer des Alls«, oder
Drachen und andere Entitäten mit Kräften, die nicht mit unseren
Naturgesetzen erklärt werden können. Es ist alles eine Frage der
Definitionen und Rahmenbedingungen, was wieder einmal zeigt, wie gut es
ist, als SF-Autor ein Physikstudium hinter sich zu haben.
»Die Zeitläufer« wäre nie als Gesamtwerk entstanden, wenn es nicht den
ASFC gegeben hätte. Ich schrieb damals die Stories, die bereits in der
SOLAR-X Ausgabe als »Zeitläufer-Geschichten« deklariert waren, und es
waren z.T. brutale Horror-Geschichten, die meine ganz persönliche
Frustration reflektierten. Nicht ohne Grund wurden sie erstmals in
einer kleinen Anthologie namens »Zorn« zusammengefaßt. Im Club
diskutierten wir über diese Texte, vor allem auch, weil die anderen
Mitglieder mich und sich selbst leicht darin wiederfanden. So sind wir
eigentlich die Zeitläufer – wenigstens zu einem Teil. Wenn uns einer
belauscht hätte, würden wir vermutlich noch heute als Terroristen im
Knast sitzen, denn es ging bei den Diskussionen um die Sprengung eines
Kaufhauses und die Auslöschung des Bundestages. (Diese Idee ist eine
der hartnäckigsten ...)
Es gehörte damals nicht besonders viel literarische Überhöhung dazu, um
Trends weiter zu denken. In einer Reihe von Geschichten verarbeitete
ich wie gesagt auch ganz persönlichen Frust und traf damit scheinbar
einen Nerv. Als ich z.B. »Wut« zum ersten Mal auf einem Con las, war
das beinahe eine kleine Sensation. Dabei ist die Story so gewalttätig,
daß ich sie nicht gern vorlese. Nach
der Fertigstellung meines neuesten Buches, in dem auch die
Handlung aus »Die Zeitläufer« aufgegriffen wird, habe ich eine
nochmalige Überarbeitung und ausführliche Ergänzung mit neuem Material
begonnen, die wahrscheinlich auch zu einer Buchausgabe von »Die
Zeitläufer« führen wird, zu einem »Director’s Cut«, wie es ein
Clubmitglied nannte. Als Premiere nun eine der neuen Stories aus dieser
definitiven Endfassung von »Die Zeitläufer«. [Text]
Ein weiteres Buch spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle: Während
einer Umschulungsmaßnahme 1995 langweilte ich mich wieder einmal (siehe "Zauberer des Alls") und
begann eine Story über einen Jungen, der aus Versehen den Geist eines Drachen in
sich aufnimmt. Was eine kurze Geschichte werden sollte,
verselbständigte sich bald: Der Roman »Mandragora« begann und
beschäftigte mich für die nächsten 4 Jahre. Die Szene um den
Bergwerksstollen im ersten Kapitel ist übrigens sowohl von »Rambo I«
als auch eigenen Erlebnissen beeinflußt.
In diesem Buch, das trotz des Auftauchens von Drachen, Elfen und Dämonen keine
Fantasy ist, gibt es keine so vordergründige Verbindung zu den anderen
Werken. Der Wanderer taucht hier nicht auf. Eigentlich ist das Buch
auch nicht als Teil des »großen Ganzen« geplant gewesen, auch wenn es
den Gedanken vielfältiger Universen und mächtiger Entitäten etwas
abgewandelt aufgreift und vertieft. Erst in der Fortsetzung von
»Stronbart Har«, eröffnet sich über die auch dort präsenten Drachen
eine mögliche Querverbindung zu diesem Werk, ohne daß allerdings eine
solche klar herausgestellt wird. Es tauchen einfach Drachen auf, die in
ihrer Art den in »Mandragora« beschriebenen verdächtig ähneln. Aber es
sind andere Drachen und eine zeitliche Verknüpfung ist nicht möglich.
Drachen sind bei mir meistens eine Art von Entität, oft werden sie auch
als transzendente Wesen bezeichnet. Man könnte sich vorstellen, daß
Entitäten eine höhere Stufe in der Entwicklung intelligenter Wesen
sind, allerdings eine sehr viel höhere Stufe. Zwar habe ich mir
das im Ansatz schon früher ausgedacht, da sie als das Ding ohne Namen
auch in »Die Zeitläufer« auftauchen, die weitere Ausarbeitung dieser
Idee ist später zweifellos vor allem durch »Babylon V« beeinflußt
worden. Die Ur-Idee zu den hyperdimensionalen Entitäten stammt
allerdings aus »Per Anhalter durch die Galaxis« von Douglas Adams. Ich
glaube, der Drache Mandragora macht auch einmal eine Anspielung, daß er
ganz froh sei, in dieser Dimension etwas anderes als eine weiße Maus zu sein.
»Mandragora« steht sozusagen außerhalb der Verbindungen, ohne völlig
von ihnen getrennt zu sein. Die Hauptverbindung der Bücher, die
zwischen Ende der 80er Jahre und Mitte der 90er angelegt wurde, besteht
in einem Zusammenhang zwischen »Operation Asfaras«, der beiden Teile
von »Stronbart Har« und »Die Zeitläufer«.
Vielleicht ist an dieser Stelle eine Abschweifung ins Reich des
Möglichkeitsuniversums in Raum und Zeit erlaubt. Ich bilde mir nicht
ein, mit meiner Vorstellung davon irgend etwas Reales zu beschreiben.
Diese Form des Multiversums, das ich mir erdacht habe, erlaubt mir,
bestimmte Dinge in den Büchern geschehen zu lassen, wie sie mir auch
die eigentliche Verbindung zwischen ihnen erlaubt, denn die Romane
handeln zweifellos auf verschiedenen Welten, sogar auf verschiedenen
Erden. Die Erde von »Operation Asfaras« kann eigentlich nichts mit der
von »Mandragora« oder den Zeitläufern zu tun haben, und doch gibt es
Zusammenhänge. Was hat es nun mit diesem Universum auf sich? Alles hat seinen Anfang bei den Drachen. Das sind Entitäten der
Superklasse, die höchste bekannte Entwicklungsstufe des Lebens und der
Intelligenz. In »Stronbart Har« und dessen Fortsetzung »Das Tor der
Dunkelheit« stehen sie sogar über den Wesen, die sich als die lokalen
Götter sehen. Ich nehme dazu folgendes an: Irgendwann in ihrer
Entwicklung haben Zivilisationen (also Ansammlungen von wenigstens im
Durchschnitt intelligenten Wesen) die Chance zur Transzendenz. Sie
gehen auf eine höhere Stufe der Entwicklung über. Menschen sind noch
nicht soweit, daher kann ich das nicht im Detail beschreiben, aber
einige Auswirkungen. Diese Wesen erlangen z.B. die relative
Unsterblichkeit, sie existieren in mehr Dimensionen als wir und sie
haben Zugang zu Naturgesetzen dieser Dimensionen, die ich
transphysikalisch nenne, also jenseits der Physik. Für uns beschränkte
Wesen sieht das so aus, als könnten sie Magie bewirken. (Das ist aber
einfach das clarkesche Gesetz in Anwendung.) Sie können all diese
Tele-Sachen, wie Telepathie, Telekinese usw. Sie können Tore in andere
Dimensionen öffnen. Sie haben natürlich enorme Macht.
Die Drachen sind laut Aussage von Mandragora, dem Purpurdrachen in dem
gleichnamigen Buch, weit älter als das Universum. Einst lebten sie in
einem einheitlichen, homogenen Weltall und wachten über die noch nicht
so hoch entwickelten Zivilisationen. Aber dann entbrannte unter ihnen
ein Streit darüber, wie weit sie in die Belange dieser anderen Wesen
eingreifen dürften. Denn einige mißbrauchten ihre Macht. Aus dem Streit
wurde ein Krieg, in dessen Ergebnis das alte Universum vernichtet
wurde, was einiges über die Macht und Gefährlichkeit von Drachen
aussagt. Sie selbst überlebten in einer Dimension irgendwo außerhalb
des Universums, und dieses wurde in eine Unzahl von einzelnen Universen
aufgespalten. Es schien nun wie ein unendlicher Berg aus Schaum zu
sein, bei dem die Blasen einzelne Universen waren. Je nach Buch werden
diese auch als Aspekte oder Dimensionen bezeichnet, wobei sie nichts
mit den Dimensionen unserer höheren Mathematik zu tun haben. Der Schaum
an sich ist auch wichtig. So wie Schaum aus dünnen, aber doch endlich
dicken Seifenwasserhäutchen besteht, so bildet sich der Universenschaum
aus einer eigenen Dimension, die als Randdimension (abgeleitet von
»Rand der Universen«) bezeichnet wird. Man kann sogar in sie eindringen
und sich dort bewegen. Leute, die sie schon kennengelernt haben, ziehen
danach meist den Begriff nocturne Dimension vor. Da diese Dimension
quasi alle Universen miteinander verbindet, kann man auch überallhin
reisen, wenn man weiß, wie. Mehr davon wird in »Mandragora« erklärt.
In einigen Regionen des neuen Universums haben inzwischen wieder neue
Zivilisationen das Stadium der Transzendenz erreicht, obwohl sie sich
nicht mit den Drachen messen können, die nun aus Erfahrung klug
geworden darüber wachen, daß sich niemand zu sehr in die Geschäfte von
anderen einmischt. Ihre Methoden, um das zu verhindern, sind oft sehr
endgültig.
Der Vorgang der Transzendenz verändert jedoch auch das Gefüge der
Wirklichkeit in diesen Regionen, so daß spätere Zivilisationen wie die
in »Stronbart Har« die transphysikalischen oder magischen Gesetze
nutzen können, ohne selbst zu den Superzivilisationen zu gehören. Damit
erkläre ich das Vorkommen von Magie in einigen, aber nicht in anderen
Regionen meines Universums.
Ein Magier könnte sogar in eine magielose Gegend geraten und dort
weiterhin seine Kräfte benutzen, wenn auch eingeschränkt. Wie der Dämon
Pek in »Das Tor der Dunkelheit« sagt, man nimmt sozusagen seine
»Natur-« Gesetze mit. (Das ist wichtig, um logische Fallen zu
vermeiden.)
Kommen wir noch einmal zurück zu den Zusammenhängen zwischen den einzelnen Büchern. Es gibt nämlich noch einen weiteren.
Die Zeitläufer aus dem parallelen Mittelalter, welche wegen eines
kleinen Fehlers ihres magischen Rituals gleichzeitig mit der Zeit auch
das Universum wechseln, und die Kids aus der Gegenwart (die jedoch
nicht genau unserer eigenen entspricht) verlassen an der Schwelle zum
Jahr 2000 völlig frustriert ihre Heimat, den Polizeistaat Deutschland,
und nehmen sich als Ziel den quasi-mythischen Fluchwald Stronbart Har,
den in diesem Buch die Autoren Martin W. Melnik und Philipp D. Laner
offenbar schon vorher besuchten und in einem gleichnamigen Buch (im
Buch!) beschrieben. Melnik und Laner gehören zu einer Gruppe von
Individuen, die durch das Ding ohne Namen bereits beeinflußt wurden,
aber nicht zu der Hauptgruppe von Jugendlichen, um die es vor allem
geht. Melnik, der auch als Frontmann der fiktiven Death Metal Band
»Hate Machine« auftaucht, hat in dieser Realität neben einigen anderen
Romanen also das Buch »Stronbart Har« geschrieben. Diese DM-Band wird
übrigens auch in »Mandragora« erwähnt. Der Hauptheld ist Fan von ihr.
Allerdings wird in »Die Zeitläufer« weder dieser schon vorher aufgebaute Zusammenhang (z.B. im Abschnitt Manche Tage macht die Bahn erst schön)
genauer erklärt, noch ob sie nach ihrem Aufbruch, zu dem sie von dem
Ding ohne Namen gedrängt wurden, tatsächlich im Fluchwald oder
überhaupt irgendwo ankommen. Der Roman endet mit ihrem enttäuschten
Weggang – ein passender Schluß für die in dem Buch intensiv
reflektierte tatsächliche Situation in der Mitte der 90er Jahre. Wer
»Operation Asfaras« und »Stronbart Har« gelesen hat, weiß nun
zumindest, daß wenigstens einer von ihnen an diesen Orten aufgetaucht
ist.
Wo die anderen hingeraten und ob das Ding ohne Namen sie nicht doch
betrogen hat, wird der Leser erst am Ende von »Das Tor der Dunkelheit«
erfahren. Da finden sich einige von ihnen auf der Welt wieder, auf der auch Brad Vanquis und die anderen herumirren.
Wichtige Personen in »Die Zeitläufer« sind u.a. Melnik und Laner, ein
Pater Renaldi und ein Physiklehrer namens Anders. Außerdem gibt es vor
allem zwei Mädchen namens Vera Steinfurth und Annie Smolinski. Mit
diesen Personen habe ich eine weitere geheime Ebene der Verknüpfung
hergestellt, die ich bisher noch nie offenbart habe.
Martin W. Melnik ist bekanntermaßen mein eigenes Pseudonym. Philipp D.
Laner ist das Pseudonym von Renald Mienert, der gleichzeitig also auch
Pater Renaldi ist. Außerdem ist er der Onkel Phil von Vera. Die DM-Band
»Hate Machine« ist eine Fiktion, obwohl es eine Band ähnlichen Namens
inzwischen sogar gibt. Sämtliche Zitate ihrer Texte sind von mir
ausgedacht, was sogar so weit ging, daß im SOLAR-X mehrere
Besprechungen & [2] angeblicher CDs von »Hate Machine« erschienen. (Wir
erhielten auch Anfragen, wo man die kaufen könne.) Das Plattenlabel und
den Verlag Spookhouse gibt es natürlich auch nicht, obwohl in diesem
Jahr vielleicht ein Buch bei Spookhouse erscheint, das gerade von Martin W. Melnik
übersetzt wird ... Ebenso nichtexistent ist aber das in einem April SOLAR-X rezensierte Buch Melniks (Die Mauer Trilogie). Leider ...
Vera Steinfurth hat in »Die Zeitläufer« auch den Decknamen Kathy
Leonard benutzt. Beides sind reale Rezensentinnen, die im SOLAR-X aufgetaucht
sind. Und ich habe den Namen sogar als Pseudonym für einige meiner
frühen Stories verwendet. Doch das ist noch nicht alles.
In »Mandragora« wird ständig ein alter britischer Lyriker namens
Richard W. Barnham zitiert. Das ist natürlich ein Pseudonym von mir,
aber inzwischen wurde der gute Barnham mit seinen düsteren englischen
Texten sogar schon »entdeckt« und u.a. auf schwedischen Internetseiten
veröffentlicht. [>1< | >2< | >3< | >4< | >5<]
Alles dient nur einem Zweck: Die Realität verwischen zu lassen und in
die Fiktion überzuleiten. Damit auch unsere eigene Welt eine Blase im
Schaum des Möglichkeitsuniversums wird.
Was ist also Realität? Das ist eine der Fragen, die ich in »Das Tor der
Dunkelheit« halbwegs ernsthaft zu diskutieren versuche. Durch den Einfluß eines
sogenannten Chaos-Lords dringen nicht nur Vorstellungen und gedankliche
Konzepte aus anderen Welten (vorzugsweise unserer, weil man das
leichter erkennt) in eine quasi-mittelalterliche Fantasy-Welt ein,
sondern auch die von der Erde geflohenen Zeitläufer und ihre
rebellischen jungen Nachfolger kommen dort an, wie ich schon andeutete.
Sie spielen in diesem Buch nur eine Nebenrolle, aber mehr als ein
Cameo-Auftritt ist es schon. Die Zeitläufer sind u.a. dafür
verantwortlich, daß in einem der Reiche auf dieser Welt Kanonen
eingeführt werden, weil sie als Berater für den dortigen Kaiser
arbeiten und die Entwicklung der Dinge ein wenig vorangetrieben haben.
Sie sind schon in ihrem »eigenen« Buch ziemlich frei von moralischen
Skrupeln und um irgendeine erste oder oberste Direktive kümmern sie
sich überhaupt nicht. Der Wanderer selbst hilft z.B. den Hauptpersonen
aus der einen oder anderen schwierigen Lage, indem er einfach mit
seiner Maschinenpistole MP7
dazwischenhält. Trotzdem bleiben die
Zeitläufer am Rande. Ihr Buch war ja schließlich schon geschrieben.
Andererseits war ich es meinen Figuren noch schuldig geblieben, ihren
Verbleib zu erklären. Ob und wie die beiden Parallelwelten gerettet werden und welche Rolle die
Zeitläufer von der Erde dabei spielen, steht in »Das Tor der
Dunkelheit«, dessen zweiter und letzter Teil im nächsten Jahr
erscheinen soll.
Zum Schluß noch ein paar zusätzliche Anmerkungen zu
Quellen der Inspiration, wie es so schön heißt. Daß man als Autor von
dem beeinflußt wird, was man liest, ist klar. Man hofft nur, daß sich
kein unbewußtes Plagiat einschleicht – und ich denke, daß ich das
vermeiden konnte. Ich lese immer noch gern moderne SF und Fantasy,
nicht wie einige ältere DDR-Autoren, die das völlig ablehnen und
ignorieren. Aber ich glaube nicht, daß man sich als Autor auf diese Art
vor fremden Einflüssen schützen muß. Die Stilmittel und Versatzstücke
der SF und Fantasy sind für mich Teil des Handwerkzeugs. Was man mit
ihnen anstellt, ist die Frage, die der Leser beurteilen muß.
Piers Anthony schrieb in seinem 7-bändigen Zyklus »Inkarnationen der
Unsterblichkeit« von einem Fernsehsender im höllischen Fegefeuer (wo
ein großer Teil der Bücher handelt), der für jeden Zuschauer
individuelle Nachrichten brachte. So etwas ähnliches erfindet eine
Zauberin für sich in »Das Tor der Dunkelheit« – aber nicht ganz so wie
bei Piers Anthony, da hier schon die Rahmenbedingungen anders sind. Das
sogenannte CNN der Hexenkönigin Durna ist außerdem eine
Gelegenheit zur witzigen Auflockerung des Textes gewesen, wie ich
hoffe. Durna ist es auch, die einen Zauber namens Spiegelmaske
einsetzt. Zu dem wurde ich durch das Musikvideo der Band Apokalyptika
zum Film »Vidoq« inspiriert. Ich betone hier das Musikvideo, da es von
der Filmhandlung kaum etwas verrät und diese für mich gar keine Rolle
spielte, weil ich den Film nicht kannte. Es waren nur die reinen
Bilder, die mich auf die Idee brachten. Hier die Textstelle, wo Durna den Zauber entdeckt.
Überhaupt sind es oft solche
Videos, die mich auf bestimmte Szenen bringen. Nur um einmal eine These
in den Raum zu stellen – ich halte die Kunstform des Musikvideos für
eine sehr innovative und äußerst kreative Form des Filmemachens, die
sich sehr oft phantastischer und surrealer Elemente bedient. Natürlich
nicht jedes Video dieser Art; tatsächlich sind die wirklich guten, für
die das zutrifft, eher in der Minderheit – aber ist das wirklich Gute
das nicht immer?
In »Das Tor der Dunkelheit« gibt es eine Menge Magie und Kämpfe,
außerdem bricht in der Person eines Chaos-Lords das personifizierte
Chaos in diese Welt ein. Aber was ist eigentlich Chaos? Ich studierte
einen Stapel Literatur zu dem Thema, der mir aber nicht besonders
weiter half. Ich mußte überrascht feststellen, daß es sehr schwer war,
dieses so oft gebrauchte Wort vom Chaos in einer literarischen Handlung
umzusetzen, die eben nicht derart chaotisch sein durfte, daß sie den
Leser in den Wahnsinn triebe.
Jedenfalls nicht vor Ende des letzten Teils.
Krieg ist Chaos, und Krieg gibt es. Nicht übertrieben viel, er
erscheint fast ein wenig gedämpft. Ich wollte das nicht so in den
Vordergrund rücken. Allerdings – um Inspirationen zu erwähnen, falls
das jetzt nicht zu makaber klingt – eine wichtige Szene des Krieges in
dem Buch schrieb ich unter dem Eindruck der Bombardierung Bagdads durch
die Amerikaner bei Beginn des Golfkrieges.
Das Wetter wird oft zitiert, wenn es um Chaostheorie geht, und es
spielt hier auch ein wenig verrückt. Aber das ist nicht so wesentlich,
eher ein Ärgernis am Rande. Welcher echte Fantasy-Held würde sich auch
von banalen Unbilden der Natur beeindrucken lassen?
Und da kam mir das Möglichkeitsuniversum gerade recht. Das Chaos äußert
sich in dem Buch u.a. dadurch, daß Vorstellungen und Visionen aus
anderen Bereichen ins Bewußtsein der Leute eindringen, wie ich bereits erwähnte. Die
Hauptpersonen sind dafür aus verschiedenen Gründen besonders
empfänglich, und so versuchen sie z.B. ständig, auf nicht-existente
Armbanduhren zu schauen, grübeln über pferdelose Wagen nach oder
erfinden das Fernsehen nach, wie die Königin.
Eine weitere Quelle: Die Beschreibungen des Äußeren der Königin Durna,
die eine meiner Lieblingsfiguren in dem Buch ist, beruhen auf einem
Bild von Winona Ryder. (Vielleicht sollte ich ihr bei der Verfilmung
die Rolle anbieten? Oder sitzt sie noch im Knast?)
Das waren natürlich nur ein paar Beispiele, wo mir die Quellen
eingefallen sind. Manches habe ich mir auch einfach so ausgedacht.
Ich werde in naher Zukunft auch den letzten Teil der
»Stronbart Har« Trilogie als Buch veröffentlichen, wobei man niemals
nie sagen sollte, wenn es darum geht, eine Trilogie zu schreiben, wie
viele namhafte Autoren vorgemacht haben. Auch »Mandragora« soll noch
einmal durchgesehen und nächstes Jahr als Buch angeboten werden, das
neue Titelbild hat Thomas Hofmann schon geliefert. Zusammen mit »Die
Zeitläufer« sind demnächst also noch drei Bücher von mir zu erwarten,
daneben konzentriere ich mich im Rahmen der Edition SOLAR-X vor allem
auch auf die Veröffentlichung anderer Autoren. Falls sich eine
Möglichkeit der Finanzierung findet, werde ich z.B. eine Übersetzung
aus dem Russischen anbieten. Der Autor, Juri Petuchow, ist hier noch
völlig unbekannt, in Russland dagegen schon sehr oft veröffentlicht
worden. Außerdem sind einige Erzählungssammlungen von Autoren geplant,
die man schon aus dem SOLAR-X kennt. Und wenn ein paar der Ideen, die
ich habe, klarere Konturen annehmen, schreibe ich vielleicht auch
wieder etwas.
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